Fotografie und das (Post-)Faktische

2016–

post-factual

Der gewählte Präsident Donald Trump weigert sich, Fragen des CNN-Reporters Jim Acosta anzuhören und bezeichnet ihn als Fake News, 11. Januar 2017

Aufgrund der endlosen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung sowie den zunehmend auf Social Media zirkulierenden Inhalten (engl. contents) ist es wichtig, sich heutzutage einen kritischen Medienkonsum anzueignen. Noch nie war es so einfach, Informationen zu verbreiten, aber auch diese gezielt für bestimmte Interessen zu manipulieren. Gleichzeitig wird es immer schwieriger den/die eigentliche_n Urheber_in von online gestreuten Informationen und Daten herauszufinden. Anstelle von Tatsachen treten vermehrt persönliche Meinungen und eine emotionale (Bild-)sprache zur gezielten Beeinflussung einer bestimmten Gruppe. Fotografische Medien und ihre zunehmende, kaum steuerbare Zirkulation im Netz spielen dabei eine zentrale Rolle. Da sie oft als Spiegel der Wirklichkeit begriffen und als Zeugnisse von Presse, dem Gericht oder im Geschichtsunterricht genutzt werden, verschwimmen durch fotografische Bilder die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion. Die Manipulation von Inhalten, die nicht auf Tatsachen gründet, lässt sich unter dem Begriff ‹postfaktisch› fassen. Welche weitreichenden Folgen dies haben kann, zeigten die Wahl des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trumps sowie der Brexit-Entscheid 2016. Für beide wurden Social-Media-Kampagnen vom Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica geschaltet, die dafür psychologische Methoden und individuell zugeschnittene Botschaften online zur Beeinflussung der Wähler_innen benutzte.
Der Umgang mit manipulierten und gezielt medial verbreiteten Fotografien für politische Zwecke reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Ein berühmtes Beispiel ist das Foto der Stürmung Berlins zum Ende des Zweiten Weltkriegs am 30. April 1945. Heute als eines der wichtigsten Symbolbilder der Geschichte bekannt, war die Aufnahme des Fotografen Jewgeni Chaldej (1917–1997) nicht nur erst am 2. Mai 1945, also nach dem tatsächlichen Ereignis aufgenommen worden, auch die Rauchwolken wurden zur Verstärkung der dramatischen Wirkung nachträglich eingefügt. Der damalige sowjetische Machthaber Josef Stalin (1878–1953) hatte diese Änderungen zur propagandistischen Verbreitung der sowjetischen Fahnenhissung auf dem deutschen Reichstag angeordnet.

Bridgeman Images

Jewgeni Chaldej, Die Sowjetische Flagge wird über dem Reichstag gehisst, Berlin 2. Mai 1945

Wikimedia Commons / Mil.ru

Jewgeni Chaldej, Die Sowjetische Flagge wird über dem Reichstag gehisst, Berlin 2. Mai 1945, Mil.ru / CC BY (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)

Literatur

Inke Arns, Der Alt-Right Komplex. Über Rechtspopulismus im Netz, Ausstellungskatalog, Dortmunder U (Dortmund: Hartware MedienKunstVerein, 2019).

Lorraine Daston und Peter Galison, Objektivität (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007).

Tom Gunning, «What’s the Point of an Index? Or, Faking Photographs», in Karen Beckman und Jean Ma (Hg.), Still/Moving. Between Cinema and Photography (Durham, NC: Duke University Press 2008), 23–40.

Mia Fineman, Faking It. Manipulated Photography before Photoshop, Ausstellungskatalog, Metropolitan Museum of Art (New York: Metropolitan Museum of Art, 2012).

Heinz Krimmer und Ernst Volland (Hg.), Der bedeutende Augenblick. Jewgeni Chaldej. Eine Retrospektive, Ausstellungskatalog, Martin-Gropius-Bau Berlin (Leipzig: Neuer Europa Verlag, 2008).

David Levi-Strauss, «Photography and Propaganda», in: ders., Between the Eyes. Essays on Photography and Politics (New York: Aperture, 2003), 12–41.

Michael A. Peters et al. (Hg.), Post-Truth, Fake News. Viral Modernity and Higher Education (New York: Springer, 2018).