Chronofotografie

1872

chronophotography

Eadweard Muybdrige, Das Pferd in Bewegung, illustriert von Muybridge. “Sallie Gardner”, im Besitz von Leland Stanford, rennt in einem Gang von 1:40 über die Palo-Alto-Bahn, 19. Juni 1878, ca. 1878, Albumindruck, 22 x 14 cm, Library of Congress, Washington, DC

Bereits in der Frühzeit der Fotografie wandte man sich der Idee zu, Bewegung einzufangen, die sich oftmals der menschlichen Wahrnehmung entziehen. Doch die frühen fotografischen Verfahren Mitte des 19. Jahrhunderts erzeugten aufgrund der langen Belichtungszeit unscharfe, verwackelte Bilder von Menschen, Tieren oder Gegenständen in Bewegung. Um 1880 wurden die ersten Fotografien von Bewegungsabläufen möglich. Man bezeichnet diese Momentaufnahmen als Chronofotografien – ein Begriff der sich vom altgriechischen Wort für Zeit, chrónos, herleitet.
Als einer der Pioniere der Chronofotografie zählt der Brite Eadweard Muybridge (1830–1904). 1872 hatte Muybridge vom Präsidenten der Central Pacific Railroad, Leland Stanford (1824–1893), den Auftrag erhalten, verschiedene Bewegungsphasen eines Pferdes im Galopp abzulichten. Es sollte bewiesen werden, dass es einen Moment gäbe, in dem sich alle vier Hufen in der Luft befänden. Dies gelang nach mehrjährigen Versuchen 1878, indem Muybridge zwölf Fotoapparate mit Fallbrettverschluss in eine Linie stellte. Sobald das Pferd die zuvor quer über das Feld gespannten Drähte zerriss, wurden jene Verschlüsse, mit je 1/25 Sekunde, ausgelöst. So entstanden zwölf Aufnahmen des galoppierenden Pferdes.

Library of Congress, Washington, DC

Eadweard Muybdrige, Das Pferd in Bewegung, illustriert von Muybridge. “Sallie Gardner”, im Besitz von Leland Stanford, rennt in einem Gang von 1:40 über die Palo-Alto-Bahn, 19. Juni 1878, ca. 1878, Albumindruck, 22 x 14 cm, Library of Congress, Washington, DC

1881 traf Muybridge in Paris den französischen Naturwissenschaftler Étienne-Jules Marey (1830–1904), der für seine Forschung zu Bewegungsabläufen von Tieren ebenfalls Experimente mit der Chronofotografie unternommen hatte. Marey hatte Muybridge bereits 1878 in einem Briefaustausch vorgeschlagen, eine Apparatur aus Fotoapparat und Gewehr, zum Aufzeichnen des Vogelflugs zu entwerfen. Sein inzwischen in die Tat umgesetztes Fotogewehr bestand wie ein richtiges Gewehr aus einem Visier, einem Objektiv im Lauf sowie einem Zylinderverschluss. Durch Abdrücken des Abzugs drehte im Inneren eine lichtempfindliche Platte und stoppte zwölf Mal vor dem Objekt. So konnte das Fotogewehr in einer Sekunde zwölf Einzelbilder mit einer Belichtungszeit von unter 1/500 Sekunde nacheinander aufnehmen. Aus dieser Erfindung ging der sogenannte Chronofotograf hervor – eine weitere Fotoapparatur, die jedoch anders als Muybridges Zwölf-Kamera-Vorrichtung aus einer Kamera bestand. Im Chronofotografen wurden Mehrfachbelichtungen auf einer einzigen Platte erzeugt, indem man einen sich drehende Schlitzverschluss kurbelte.

The Metropolitan Museum of Art, New York

Etienne-Juley Marey, [Vogel im Flug], 1886, Albumindruck, 1886, 3,3 x 17,3 cm, Gilman Collection, Purchase, Denise and Andrew Saul Gift, 2005, The Metropolitan Museum of Art, New York

Die Erfindung der Chronofotografie war auf zwei Ebenen einfallsreich: Erstens ermöglichte sie es Bewegungen, die sich dem menschlichen Auge entzogen, in ihrem Ablauf nachzuverfolgen und für wissenschaftliche Zwecke aufzuzeichnen. Zweitens werden Muybridges und Mareys Experimente zudem häufig mit der Erfindung des Kinos in Verbindung gebracht, da sie aus Einzelbildern einen zeitlichen Ablauf darzustellen versuchten.

Literatur

Matthias Christen (Hg.), Bilder in Bewegung. Fotografie und Film. Fotogeschichte 38 , Nr. 147, (2018).

Michel Frizot, «Geschwindigkeit in der Fotografie. Bewegung und Dauer», in Michel Frizot (Hg.), Neue Geschichte der Fotografie (Köln: Könemann 1998), 243–257.

Michel Frizot, E. J. Marey. 1830–1904. La photographie du mouvement, Ausst. Kat. Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou (Paris: Centre national d’art et de culture Georges-Pompidou, Musée national d’art moderne, 1977).

Peter Geimer, «Fotografie als Wissenschaft», in Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Nr. 28 (2005), 114–122.

Eadweard Muybridge, Animal Locomotion. An Electro-Photographic Investigation of Consecutive Phases of Animal Movements (1872–1885) (Philadelphia: University of Pennsylvania, 1887).

Phillip Prodger, «Chronophotography», in John Hannavy (Hg.), Encyclopedia of Nineteenth-Century Photography (London: Taylor & Francis Group, 2008), 297–299.

Rebecca Solnit, River of Shadows. Eadweard Muybridge and the Technological Wild West (New York: Penguin Books 2003).