Cyanotypie

1842–1950

cyanotype

Anna Atkins, Festuca Ovina (Echter Schaf-Schwingel), 1854, Cyanotypie, 35 x 24,8 cm, Victoria and Albert Museum, London

Wie beim Fotogramm handelt es sich bei der Cyanotypie um eine kameralose Direktbelichtung. Das heisst, ein Gegenstand oder ein Negativ wird direkt auf ein lichtempfindliches Papier gelegt und einer Lichtquelle – also einer Lampe oder dem Sonnenlicht – ausgesetzt. Cyanotypiepapier wird nicht wie bei anderen fotografischen Verfahren mit Silbersalzen, sondern mit einer Eisenverbindung beschichtet. Während der Belichtung färbt sich das Papier gelbbraun. Dort, wo die Gegenstände Schatten hinterlassen, behält das Papier seine ursprüngliche Farbe. So entsteht vorübergehend ein Negativ, welches sich aber im anschliessenden Wasserbad in ein blau-weisses Positiv verwandelt. Beim Trocknen wird die blaue Farbe noch stärker. Wegen des auffälligen Farbtons wird das Verfahren auch Blaudruck oder Eisenblaudruck genannt. Erfunden wurde die Cyanotypie vom englischen Astronomen John Frederick William Herschel (1792–1871), der auch die Begriffe ‹Fotografie›, ‹Negativ› und ‹Positiv› prägte.
Cyanotypien fanden in der Wissenschaft und in der Kunst unterschiedliche Verwendung. Die englische Pflanzenforscherin Anna Atkins (1799–1871) arbeitete bereits 1843 mit dem damals neuen Verfahren, um Bilder für die Studien über britische Algenarten von William Henry Harvey (1811–1866) herzustellen. Anstatt wie damals üblich zum Zeichenstift zu greifen, setzte Atkins das Blaudruckverfahren ein und schuf 1843 somit das erste mit Fotografien bebilderte Buch Photographs of British Algae. Cyanotype Impressions (1843–1853, dt. Übersetzung, Fotografien von britischen Algen. Cyanotypische Eindrücke). Dieses wird auch heute noch in verschiedenen Ausstellungen gezeigt. Aber auch für andere Arbeitsbereiche war das Verfahren ideal. So machten Ingenieur_innen bis ins 20. Jahrhundert hinein kostengünstige Kopien von ihren Bauplänen, die Blaupausen (auf Englisch blueprints) genannt werden.
Trotz der heute vorwiegend digitalen Technologien bekommt das alte Verfahren der Cyanotypie auch in der zeitgenössischen Kunst wieder vermehrte Aufmerksamkeit. Künstler_innen wie Anna Niskanen (*1990), David Gagnebin-de Bons (*1979), Alan Butler (*1981), Annie Lopez (Geburtsjahr unbekannt) oder Angela Chalmers (Geburtsjahr unbekannt) experimentieren damit, in dem sie nicht nur Papier mit der lichtempfindlichen Eisenbeschichtung bearbeiten, sondern auch andere Materialien wie Stoff oder Keramik.

Literatur

Christina Z. Anderson, Cyanotype. The Blueprint in Contemporary Practice (London: Routledge, 2019).

Brian Arnold, Alternate Processes in Photography. Technique, History, and Creative Potential (New York: Oxford University Press, 2017).

Geoffrey Batchen, Emanations. The Art of the Cameraless Photograph (München; London; New York: DelMonico Books, 2016).

Larry Schaaf und Joshua Chuang (Hg.), Sun Gardens. Cyanotypes of Anna Atkins, Ausst. Kat., New York Public Library (München: Delmonico Books, 2018).

Katharina Steidl, Am Rande der Fotografie. Eine Medialitätsgeschichte des Fotogramms im 19. Jahrhundert (Berlin: De Gruyter, 2019).

Mike Ware, «Herschel’s Cyanotype. Invention or Discovery?», in History of Photography 22, Nr. 4 (Winter 1998), 371–379.