Post-Fotografie – Fotografie nach der Fotografie

1988–

post-photography

Bildschirmaufnahme von SITUATIONS, Fotomuseum Winterthur, 2020

Posten, liken, sharen, scrollen, screenshotten, downloaden. Unsere Smartphone-Kameras ermöglichen es uns, nicht nur überall und schnell zu fotografieren, sondern auch diese Aufnahmen sekundenschnell über Instant Messaging, z. B. WhatsApp, und Soziale Medien, z. B. Instagram, zu verbreiten. Dort endet jedoch die Zirkulation der Fotos nicht: Wir selbst sind nämlich nicht nur Produzent_innen eigener fotografischer Bilder, sondern konsumieren Bilder – sei es nun passiv oder aktiv – ständig in unserem Alltag. Diese technischen, sozialen, kulturellen und letztlich auch politischen Veränderungen im Umgang mit der Fotografie, die sich seit den 2000er-Jahren mit dem Aufkommen der Digitalisierung vollzogen haben, bezeichnet der Kunsthistoriker Geoffrey Batchen (*1956) als «Post-Fotografie». Die Vorsilbe stammt vom lateinischen Wort ‹post›, das im Deutschen mit ‹nach› übersetzt werden kann und etwas als zeitlich später liegend kennzeichnet. Oft beschreibt man damit die Erneuerung und Neubelebung eines theoretischen Begriffs. Fotografie wird heute nicht mehr als ein analoges Produkt verstanden, d. h. einen materiellen Abzug, der auf der Idee und Ausführung von Fotograf_innen, ihrer Kamera und fotochemischer Entwicklung zurückgeht. Fotografie ist überdies ein nicht wegzudenkender Bestandteil unseres sozialen Lebens – sei es als Speicher beim Screenshot, als Kommunikationsmittel in WhatsApp oder zur Selbstdarstellung auf Instagram. Der so erweiterte Fotografiebegriff kann auch unter dem ‹Fotografischen› oder dem ‹vernetzten Bild› verstanden werden. So versuchen Wissenschaftler_innen und Künstler_innen Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: Was bedeutet es für die Gesellschaft und Wissenschaft, wenn das fotografische Bild online vernetzt, programmierbar und algorithmisch ist? Und wie kann man dies im Museum, an Universitäten, in den Schulen, aber auch in der Kunst behandeln?
In seinem Projekt Mood Disorder (2015) demonstriert der US-amerikanische Künstler David Horvitz (*1982) beispielsweise, wie sich ein auf Wikipedia eingespeistes Bild online verbreitet. Über die umgekehrte Bildersuche (Reverse Image Search) zeigte sich, dass das im Artikel zur «Affektiven Störung» eingespeiste Porträt eines Mannes, der sein Gesicht in den Händen verbirgt, nicht nur in verschiedene Sprachen aufgegriffen, sondern sich auch zu unterschiedlichsten Themenfeldern und teilweise nachträglich, beispielsweise mit einem Schwarz-Weiss-Filter bearbeitet, zu eigen gemacht wurde. Horvitz‘ Arbeit stellt so einerseits die Idee von künstlerischer Urheberschaft, andererseits unseren heutigen oft unkritischen Bilderkonsum zur Diskussion.

Fotomuseum Winterthur

David Horvitz, Mood Disorder, 2012–